Ok, der Titel des Hartig-Blogs für den März ist provokativ. Und wie provokativ legen Sie bitte gleich mal auf einer Skala von 1 - 10 fest. Dabei gilt folgende Logik:
01 = Fahrausbildung ist nicht individuell (also keine Provokation).
10 = Fahrausbildung ist maximal individuell (und damit ist der Titel dieses Blogs falsch). Und schreiben Sie Ihre Zahl bitte auf. Denn ich möchte Ihnen den Titel am Ende dieses Blogs nochmal vorlegen. Mal sehen, wie er sich dann für Sie anfühlt. Und bitte schreiben Sie keine 05. Halbschwanger gibt es nicht.
Fahrlehrer bilden Fahrschüler aus. Und wer das schon länger macht, hat viele Beispiele und noch mehr Geschichten zu erzählen. Wir erinnern uns an die Guten, die problemlos durch die Fahrausbildung gelaufen sind. Noch mehr erinnern wir uns an die Sorgenfälle. An diejenigen, bei denen aus BF17 irgendwie BF19 geworden ist. An die "50-und-mehr-Fahrstunden-Schüler". Die mit den zwei linken Händen und diejenigen, die uns schier den Verstand und die Nerven geraubt haben. Je länger Fahrlehrer das machen, desto mehr sammelt sich da auf der "Hitliste" an.
Sind Sie bis hier noch einverstanden? Gut.
Diese Hitliste macht uns einen Glaubenssatz zu eigen: Fahrausbildung sei individuell. Sie hänge nämlich von den Leistungen des Schülers ab. Von seiner Auffassungsgabe. Vom Talent eben. Und ich glaube hier fängt das Märchen an.
Na? Regt sich schon Widerspruch?
Gut. Ich würde von Ihnen nämlich sehr gerne wissen, über welches Zahlengerüst wir hier eigentlich sprechen. Folgendes Rechenbeispiel: Lassen Sie uns annehmen, ein Fahrlehrer bildet pro Jahr 75 Fahrschüler aus. In 10 Jahren sind das 750 Führerscheinausbildungen. Haben Sie für mich irgendwelche Zahlen, eine Aufstellung, eine Statistik, an der wir herausfinden können, wie viele von den 750 Fahrschülern talentfrei waren?
Ja? Sehr gut, dann schicken Sie diese Liste bitte an nils.hartig@fortbildung33.de. Ich verspreche, ich melde mich bei Ihnen telefonisch zurück. Sie brauchen diesen Blog nicht weiterlesen.
Nein? Ok, dann unterstelle ich Ihnen, dass Sie einem Priming-Effekt unterliegen. Achtung, ich zitiere aus Wikipedia: "Der Begriff Priming ... bezeichnet ... die Beeinflussung der Verarbeitung eines Reizes dadurch, dass ein vorangegangener Reiz implizite Gedächtnisinhalte aktiviert hat. Diese Aktivierung spezieller Assoziationen im Gedächtnis aufgrund von Vorerfahrungen mit den betreffenden Informationen geschieht häufig und zum allergrößten Teil unbewusst."
Ich versuche das jetzt mal in Hartig-Blog-Deutsch zu übersetzen. Das ist wissenschaftlich nicht korrekt, dient aber sicher dem Verständnis.
Wir verarbeiten einen Reiz: "Der Schüler erkennt schon wieder nicht die Vorfahrt".
Vorangegangener Reiz: "Das habe ich allein schon heute mindestens drei Mal erlebt".
Aktivierung spezieller Assoziationen auf Grund von Vorerfahrungen: "Viele Fahrschüler sind talentfrei".
Unbewusst beeinflusstes Ergebnis: "Fahrausbildung ist individuell und hängt vom Können des Schülers ab".
Na? Wo sind Sie jetzt gedanklich?
Auf Grund des Priming-Effektes machen wir uns einen Glaubenssatz zu eigen, der einer faktischen Überprüfung wahrscheinlich nicht standhält! Die Masse unser aller Fahrschüler hat durchaus Talent und braucht einen ähnlich großen Aufwand (=Zeit), um die Inhalte der Führerscheinausbildung zu verstehen, zu trainieren und in Können zu überführen. Aber die immer wieder auftretenden Fehler der wenigen talentfreieren Fahrschüler, primen uns und bringen uns unbewusst und damit automatisch zu der Annahme, Fahrausbildung hänge vom Schüler ab und ist damit individuell.
So. Zurück zu den Zahlen.
Nehmen Sie bitte mal alle Klasse B-Fahrschüler, die sie 2017 ausgebildet haben. Das wird jetzt ein bisschen Arbeit, aber es lohnt sich. Unterscheiden Sie nach Ersterteilung, Erweiterung und ggf. nach Umschreibung. Dann schreiben Sie hinter jeden Fahrschüler die Zahl der Fahrstunden (ohne Sonderfahrten). Jetzt zählen Sie diese Fahrstunden zusammen und teilen sie durch die Zahl der Fahrschüler. Richtig, Sie haben jetzt das arithmetische Mittel. Also die exakte Zahl der durchschnittlich benötigten Fahrstunden. Kommagenau. Hierbei ist Traktor-Toni mit 4 Fahrstunden genauso berücksichtigt, wie Ohnmachts-Olli mit 96 Übungsstunden.
Nun kommt der schwierigere Teil:
Sie runden die Fahrstundenzahlen der Schüler auf eine ganze Zahl. Dann prüfen Sie, wie oft gleiche Fahrstundenzahlen bei Schülern vorhanden sind und schreiben sich das in eine zweite Spalte. Wenn Sie diese Daten jetzt in einen Graphen (also ein Diagramm) überführen, kommt da sehr wahrscheinlich eine "Zwiebelkurve" raus. Jede Tabellenkalkulation kann das heute mit überschaubarem Aufwand leisten. Wenn Ihnen das zu viel Aufwand ist, bekommen Sie von uns in Kürze auf abibaro.de eine Eingabemaske hierfür, die den Rest automatisch erledigt.
Was ist nun die Erkenntnis?
Je "buckliger" diese Kurve, desto systemischer ist Ihre Fahrausbildung. Wow, das ist harter Tobak. Hat Ihre Kurve eine ausgeprägte Beule, mit steilen Flanken und sehr flach verlaufenden Enden, entsteht daraus eine Erkenntnis, die man auf Zweierlei Arten interpretieren kann:
- Sie haben viele Fahrschüler mit ähnlichem Talent, oder
- Sie haben ein System in Ihrer Fahrausbildung, mit dem es Ihnen gelingt, viele Fahrschüler in ähnlicher Zeit (=Aufwand, =Fahrstundenzahl) prüfungsreif zu bekommen.
Die erste Erkenntnis ist bequem. In gewisser Weise vielleicht sogar eine Kapitulationserklärung. Sie schiebt das Ergebnis Ihrer Arbeit ausschließlich auf das Talent des Schülers. Wenn das so ist, braucht Ihr Schüler Sie übrigens nicht. Und ich werde noch deutlicher: Talent ist die bequeme Ausrede all derer, die Verantwortung scheuen. Sorry.
Mir gefällt die zweite Erkenntnis besser.
Viel besser! Sie zeugt von Verantwortung. Von Plan. Von Kompetenz. Von Ihrer Leidenschaft. Und sie ist damit ein Beleg für Ihre systemische Fahrausbildung. Arithmetisches Mittel, Kurve und Erkenntnis wären übrigens eine tolle Grundlage für das Onboarding-Gespräch. Gerade bei Helikopter-Mammis, die den kleinen "Olli" in der Fahrschule abgeben, würden Sie offene Türen einrennen. Bei IKEA haben sie das schließlich auch schon gemacht. Sie zeigen, dass Ihnen die Zeit Ihrer Kunden wichtig ist. Das Sie ein System haben, nach dem Sie ausbilden. Und völlig bedrohungsfrei, geben Sie einen Benchmark vor.
Zurück zum Titel: "Das Märchen von der individuellen Fahrausbildung!".
Wo stehen Sie jetzt? Ist Fahrausbildung wirklich individuell oder erfolgt sie nach einem System? Können Sie für den größten Teil Ihrer Schüler (das wäre übrigens die Fläche unterhalb der Zwiebelkurve) eine ziemlich genaue Vorhersage machen, wie die Ausbildung verläuft, oder ist das alles Zufall und in der Verantwortung des Schülers? Fragen Sie mal Ihre Fahrerlaubnisprüfer. Ich bin sicher, die haben ein konkretes Bild davon, wie systemisch Ihre Fahrausbildung ist.
Was ist das Ziel dieses Blogs?
Oft hört man "Ich möchte Ihnen nicht zu Nahe treten". Das gilt für mich und diesen Blog nicht. Ich will Ihnen Nahe treten. Ich möchte Sie betroffen machen. Ich freue mich, wenn dieser Blog Ihre Gedanken auf Öltemperatur bringt. In die Reflexion. Und ich danke Ihnen dafür, dass Sie das zulassen. Besonders auch in unseren zukunftsorientierten Fortbildungsmodulen.
Verletzen möchte ich Sie ausdrücklich nicht. Wenn ich das getan habe, bitte ich um Verzeihung!
"Immer eine passende Idee für deine Zukunft!". Dafür treten wir bei FORTBILDUNG33.de jeden Tag an. In diesem Sinne freue ich mich über Ihre Gedanken und Rückmeldungen. Schreiben Sie mir!
Ihr Nils Hartig
März 2018