Das wird komplex heute! Ich beschäftige mich mit der innersten Kernkompetenz eines jeden Fahrlehrers. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto deutlicher zeigt sich für mich die Notwendigkeit umzukrempeln. Die Zeit ist längst reif dafür. Fahrschüler sind Kunden geworden. Und wir Fahrlehrer können diese Kunden nicht mehr mit einem System bedienen, was seit 40 Jahren unverändert in Fahrschulen angeboten wird. Es geht um die Ausbildung in Theorie und Praxis. Und es geht um die Frage, ob das überhaupt noch zeitgemäß ist.
Check: Der Status heute
Wenn ich mich heute in einer Fahrschule nach einer Führerscheinausbildung erkundige, höre ich überwiegend folgendes: Die Ausbildung gliedert sich in einen theoretischen und einen praktischen Teil. Ich brauche einen Antrag, ein Lichtbild, den Sehtest und die erste Hilfe. Dann muss ich 14 Mal zum Unterricht. Ich nehme Fahrstunden. Es gibt eine Theorie- und eine Praxisprüfung. Fertig!
Zählen wir mal zusammen: Zwei Teile Ausbildung, zwei Teile Prüfung. Das wars. So verkaufen wir Fahrschulen unsere Dienstleistung. Und genau so wird sie in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Wie die Wertschätzung dazu aussieht, wissen Sie selbst am Besten. Und es beschreibt in meinem Empfinden in keiner Weise, was Sie liebe Fahrlehrerin und lieber Fahrlehrer da jeden Tag tun!
Mir reicht das nicht!
Eigentlich brauchen wir uns darüber nicht zu beschweren. Wir sind selbst schuld, wenn wir unsere Dienstleistung so lieblos beschreiben. Und Achtung: Ich möchte an dieser Stelle richtig verstanden werden! Ich sage nicht, dass wir unsere Dienstleistung lieblos durchführen. Wir können sie aber nur unzureichend erklären. Und eine Investition von 3.000 €, Tendenz steigend, braucht vielleicht etwas mehr visuellen und verbalen Handlauf. Kunden möchten verstehen, was sie da kaufen. Und sie möchten dabei ein gutes Gefühl bekommen.
Eine Warnung vorab:
Sie, liebe Leserin, lieber Leser werden jetzt sagen: "Was will der Hartig von mir? Ich habe gar kein Problem beim Verkauf. Es ist genau das Gegenteil. Die rennen mir gerade die Bude ein und ich weiß gar nicht, wie ich diesen Fahrschülerstau in den Griff bekommen soll." Und genau hier liegt eine Riesengefahr. Die vollen Auftragsbücher und das gnadenlos zuschlagende Hamsterrad machen uns taub und blind. Und vielleicht auch ein bisschen selbstherrlich. Ich möchte uns das gerne ersparen: Wenn die Auftragsbücher erst einmal leer sind, ist es für Veränderung zu spät!
Vom Onboarding zum selbständigen Autofahrer.
Ich glaube, es ist höchste Eisenbahn, diesen Lebenszyklus eines Fahrschülers in der Fahrschule zu überdenken. Vielleicht sogar neu zu erfinden. Und da darf man ruhig ein bisschen links und rechts schauen. Wie machen das andere Branchen? Welche Begrifflichkeiten werden dort etabliert? Wie werden dort Ideen in das Kopfkino der Kunden eingespeist? Welche Hilfsmittel werden verwendet?
Und wenn wir schon bei der Neuerfindung sind, dann könnten wir das evtl. gleich so anstellen, dass wir das akute Problem des Fahrschülerstaus respektive des Fahrlehrermangels gleich mit erledigen.
Onboarding
Früher wars die Anmeldung. Manchmal höre ich Beratungsgespräch. Beides weckt bei mir wenig Freudiges. Wir brauchen neue Begrifflichkeiten. Der Titel hier hat einen Vorschlag. Sie müssen das nicht so nennen. Wir brauchen aber mehr Bauchgefühl. Mehr "Good Vibrations". Mehr Willkommen und weniger Formalien. Und in so einem Onboarding könnte mit dem Kunden neben den Vertragsvereinbarung vor allem über sein Ausbildungskonzept gesprochen werden. Und wie er das in seinem engen Terminplan unterbringt. Wir könnten mit ihm die gesamte Ausbildung durchplanen. Bis zum ersehnten Tag der Führerscheinprüfung. Nicht weil der Kunde den Führerschein so gerne möchte. Sondern weil er dann einen Haken dahinter machen kann. Und es würde Verbindlichkeit schaffen. Auf beiden Seiten. Den Gedanken gab es im Hartig-Blog vom Juli 2017.
Aus Unterricht wird Praxiswissen
Dass die 14 x 90 Minuten für das bestehen der Theorieprüfung nicht erforderlich sind, hat sich nicht nur bei Fahrschülern längst rumgesprochen. Also was soll dieser Theorieunterricht? Wir sind uns sicher einig, dass viele Inhalte des theoretischen Rahmenplans mit Autofahren nix zu tun haben. Ich habe mir da im letzten Hartig-Blog schon Luft gemacht. Also lassen Sie es uns besser machen. Die theoretische Ausbildung teilen wir zukünftig in Prüfungsfragentraining und ins Praxiswissen. Die Begrifflichkeiten lassen vermuten, was dahinter steckt. Im ersteren nehme ich meinen Kunden in die Verantwortung. Beim Zweiten versteht er, dass die 14 Unterrichte der gezielten Vorbereitung seiner Fahrstunden dienen. Aus 14 Absitzveranstaltungen könnten 28 Fahrstunden werden. Kunden würden das lieben. Und ich glaube Sie auch.
Mentaltraining als Simulator
Wer Auto fährt, hat Automatismen gebildet. Es geht um eine unendliche Aneinanderreihung von Handlungsabläufen. Die könnten im oben beschriebenen Praxiswissen erarbeitet werden. Anhand von Checklisten. Und dann könnten sie trainiert werden. Nicht erst in der Fahrstunde. Sondern vorher. Im Praxiswissen. Meinertwegen am Simulator. Aber auch beim Zähneputzen vor dem Spiegel. Jeder Sportler macht das so. Warum also nicht in der Führerscheinausbildung? Und so bauen wir in den Prozess der Führerscheinausbildung gezielt Positionen ein wie "TrainingChecks", "LocationManager", "MentalReplay" und auch den "Virtuellen Fahrtrainer". Heute ist es einfach Unterricht. Jetzt wäre es ein feingliedriges und hoch professionalisiertes System der Vorbereitung auf den nächsten Prozessschritt.
Praxistraining
Der Begriff Fahrstunde liegt emotional auf Höhe von Blockflötenunterricht. Wir könnten das umbauen. Und es geht um mehr. Es ist nicht nur die neue Begrifflichkeit. Ihr Fahrschüler ist in diesem Prozessschritt kein Anfänger mehr. Und er fühlt sich auch nicht so. Es geht um das gezielte Training bereits geübten Handlungswissens. Auf Deutsch: Die Handlungsschritte des Rechtsabbiegens hört er hier nicht zum ersten Mal. Er hat sie längst verinnerlicht und auch mental trainiert. Das Praxiswissen ist für den Feinschliff da. Nicht für die grundsätzliche Erklärung. Und wir sind uns einig: Das könnte dem Fahrschülerstau entgegenwirken. Massiv.
Sofas
Auch die Sonderfahrten könnten eine neue Ausrichtung bekommen. Weniger Event, mehr Training. Gezielt. Vervollständigend. Mit Hausstreckentraining.
Und wie geht das jetzt weiter?
Mir würde da schon noch einiges einfallen. Aus der biederen Reifestufe wird die emotionale Generalprobe. Vor der Prüfung gibt es ein "Warm up". Und vielleicht fällt uns für den angstaufgeladenen Begriff der Prüfung auch noch was besseres ein.
Worauf will ich hinaus?
Wir haben das Jahr 2017. Aus Fahrschülern sind Kunden geworden. Und die sind nicht mehr wie früher. Ob mir das passt oder auch nicht, ist eine andere Diskussion. Aber es gibt eben so viele schöne Beispiele strahlender Dienstleister. Ich bin mir sicher, Sie haben einen vor Augen. Und ich glaube es ist Zeit für eine neue Prozessdefinition der Fahranfängervorbereitung. Nicht nur für unsere Kunden. Besonders auch für Sie selbst, liebe Fahrlehrerin, lieber Fahrlehrer. Es geht nämlich leichter. Und Gedanken wie oben skizziert, könnten eine eierlegende Wollmilchsau sein. Und wenn sie dann optisch schön in eine Ausbildungsbroschüre gegossen werden, haben alle was davon: Lehrer, Schüler, Eltern, Rechnungszahler, Büropersonal, Unternehmer und auch die Wertschätzung in der Öffentlichkeit!
Demut
Ich bin Ihnen in diesem Blog wahrscheinlich an der einen oder anderen Stelle auf die Füße getreten. Dafür entschuldige ich mich bei Ihnen. Es geht mir nicht um Verletzung. Ich habe Demut vor dem, was Sie da jeden Tag leisten. Und das in diesen Zeiten. Meine Aufgabe ist Wachrütteln. Sensibilisieren. Motivieren. Chancen entdecken.
Rufen Sie an!
In diesem Sinne und mit tiefem Respekt
Ihr Nils Hartig