Ich bin auf dem Rückweg vom Verkehrsgerichtstag in Goslar. Zwei Tage Arbeitskreis VII, "Reform des Fahrlehrerrechts". Gedanklich versuche ich ein Fazit zu ziehen. Was ist gut gelaufen? Was hat die Veranstaltung gebracht? Welchen Eindruck hat die Branche hinterlassen? Welche Auswirkungen haben die manifestierten Empfehlungen? In meinem Kopf geht es zu wie einst im Otto-Film: Engelchen und Teufelchen schmeißen sich Argumente an den Kopf. Mal sehen, wer die Oberhand gewinnt ...
Der Verkehrsgerichtstag (VGT) ist öffentlich. Jeder kann sich für einen Arbeitskreis anmelden, seine Gedanken einbringen und einen Beitrag zur Meinungsfindung leisten. Das Thema ist definiert. Experten tragen Erkenntnisse und Ergebnisse vor. Dann gehört das Wort dem Plenum. Es wird diskutiert, Aspekte werden dargelegt und Meinungen gebildet.
Gegen Ende des ersten Tages werden Probeabstimmungen vorgenommen. Stimmberechtigt ist jeder Teilnehmer mit Zutrittsberechtigung zum Saal. Formulierungen werden getroffen und Stimmkarten in die Höhe gestreckt. Man bekommt ein erstes Gefühl für Meinungsverhältnisse und Gemengelage.
Übernacht werden die getroffenen Formulierungen als Empfehlungen zu Papier gebracht. Tag zwei beginnt dann damit, diese Formulierungen dem Plenum vorzustellen. Es bleibt nochmal kurz Zeit zur Stellungnahme. Es gibt erneut Wortmeldungen und Diskussion. Und dann wird final abgestimmt. Teilweise für einen kompletten Absatz, manchmal Satz für Satz. Fertig sind die Empfehlungen, die der Arbeitskreis öffentlich ausspricht.
Das ist eigentlich eine sehr pragmatische Vorgehensweise. Die Empfehlungen finden in der Gesetzgebung Gehör. In welchem Maße ist unklar, bindend sind sie natürlich nicht. Und damit Sie sich einen Eindruck von dem verschaffen können, was da empfohlen wurde, habe ich Ihnen den gesamten Text in einen eigenen Artikel gestellt, den Sie hier nachlesen können.
So viel zum grundsätzlichen Procedere. Nun zurück zu Engelchen und Teufelchen:
Ich finde eine derartige Veranstaltung großartig. Es geht um die Reform unseres berufständischen Regelwerks. Und das kommt nicht oft vor. Die letzte war 1999. Wenn wir diesen Zyklus beibehalten, sind wir 2033 wieder dran. Das Projekt ist wichtig, der Reformbedarf groß. Nirgendwo kann ich als Betroffener, Beteiligter, als "normaler" Fahrlehrer unmittelbarer Vorschläge zur Reform so weit oben ansiedeln, wie hier. Und Achtung: Wir sind noch vor der Reform! Es gibt also u. U. noch Gestaltungsmöglichkeit.
Wenn ich mich aber jetzt im Saal umsehe, unter den Stimmberechtigten, dann vermisse ich die Basis. Um es konkret zu sagen: Ich vermisse Sie! Was nutzt es denn, wenn von 200 Mann (und natürlich Frau) im Saal gefühlte 170 Personen Verbandsfürsten, Lobbyisten und Interessenvertreter sind und eine Meinung vertreten, die an Ihren täglichen Sorgen und Nöten völlig vorbeischießt? Und ist es nicht genau das, was wir im Nachgang zu großen Reformprojekten immer bemängeln?
Ich möchte das an zwei Beispielen deutlich machen:
Diskussionspunkt Fahrlehrermangel
Es gilt zwischenzeitlich als unbestritten. Die Branche hat ein massives Problem mit dem Nachwuchs. Es kommen kaum neue Fahrlehrer dazu. Es vergeht kein Tag, an dem nicht mein Telefon mit einem hilfesuchenden Fahrschulinhaber klingelt. Auf der Berufswunschliste junger Auszubildender ist "Fahrlehrer" nicht zu finden. Und die, die das Berufsziel dennoch ergreifen, sind nicht immer dafür geeignet.
Die Reform möchte daher die Zugangsvoraussetzungen für den BE-Fahrlehrer neu regeln. Mittlerer Bildungsabschluss steht in der Empfehlung. Um Missverständnissen vorzubeugen: Das ist die Mittlere Reife und ausdrücklich nicht der Hauptschulabschluss + abgeschlossene Berufsausbildung. Das finde ich richtig. Klar ist aber auch, dass damit die Zahl der Bewerber nach unten gehen wird. Wenn der Beruf für junge Menschen attraktiv sein soll, braucht es also anderswo Entlastung. Und die ist eigentlich in Sichtweite: Wegfall der Fahrerlaubnisse A und CE als Eingangsvoraussetzung für den BE-Fahrlehrer.
Braucht ein BE-Fahrlehrer wirklich zwingend den Lkw- und Motorradführerschein? Zumal diese beiden Führerscheine rund die Hälfte der Investitionskosten für den Fahrlehrerberuf ausmachen? Die Basis ist sich einig: Nein! Doch die Basis ist leider nicht anwesend. Statt dessen verteidigen Lobbyisten und Verbandsfürsten vehement und mit traurigen Argumenten die heutige Regelung. Mir sinkt der Mut. Eigentlich bin ich fassungslos. Was hier diskutiert wird, hat mit der Praxis nichts zu tun. Ich verstehe die Angst in der Argumentation. Aber sie ist gefährlich. Und es sind Besitzstandshüter-Argumente, die ich da höre.
Eine Fahrlehrerin aus Brandenburg meldet sich zu Wort. Vorsichtig wirft sie die Frage auf, ob sie denn jetzt, um die Gefahren am Bahnübergang praxistauglich erklären zu können, unbedingt einen Lokomotiv-Führerschein braucht? Und was sei dann mit Behinderten? Oder älteren Menschen? Sie wünsche sich einen Fahrlehrerberuf, der statt in die Breite, in die Tiefe gehen kann.
Reginald Gerlach, Fahrschulinhaber aus Hamburg meldet sich ebenfalls zu Wort und berichtet verzweifelt von dem Versuch, einen Fahrlehrer zu finden. Seit 3 Jahren. Er spreche jeden darauf an. Er finde aber keinen. Dabei sei er ein motivierter Fahrlehrer aus Überzeugung. Seit 18 Jahren. Und seit dieser Zeit sei er auch nicht mehr im Lkw gesessen. Er habe keine Ahnung von modernen Lkw. Aber ein schlechter Fahrlehrer sei er deshalb ganz sicher nicht!
Ich horche auf. Werde wieder ruhiger. Gott sei Dank gibt es doch ein bisschen Basis und damit gehörten Fahrschulalltag im Raum!
Das sieht offensichtlich auch Herr Dr. Kirschner, Verwaltungsjurist, Referent im Arbeitskreis VII und Reformumsetzer aus dem baden-württembergischen Verkehrsministerium so. Auf dem Podium sitzend ergreift er fassungslos das Wort und mahnt die Anwesenden eindrücklich, über die Bedeutung dieses Punktes nachzudenken: "Haben Sie denn keine Sorge, dass Sie sich abschaffen", entfährt es ihm?
Respekt Herr Kirschner! Da sind Sie mit dem MVI BaWü näher am Berufsstand als die verbandspolitische Spitze. Und irgendwie ist das absurd. Die Politik erklärt dem Berufstand, was ihn bedroht. Sollte das eigentlich nicht genau andersherum laufen?
Die finale Abstimmung legt sich dann auf die Empfehlung fest, als Eingangsvoraussetzung die Fahrerlaubnisse A1 und C festzuschreiben. Was für eine vermurkste Empfehlung! Das ist ja absurd. Gewollt und nicht gekonnt. Halbschwanger. Da führt man seine Eingangsargumentation ja ad absurdum. Die Einsicht in den Wegfall der Führerscheine ist eigentlich da. Loslassen kann man dann aber doch nicht. Und daher empfiehlt man den Solo-Lkw. Großartig. So geht also Lobbyarbeit!?
Ich hoffe inständig, dass der Gesetzgeber dieser Empfehlung nicht folgt. Und wenn Sie lieber Leser etwas retten wollen, dann schreiben Sie einen Brief. An Herrn Dr. Kirschner vom MVI BaWü oder an Frau Bartelt-Lehrfeld vom BMVI. Beschreiben Sie Ihre Nachwuchssorgen und bestärken Sie sie in ihrem Vorgehen.
Entbürokratisierung
Der nächste Punkt. Eine Reform muss immer Entbürokratisierung bringen. Das ist populär, oft aber eine Floskel. Um so erstaunter bin ich, als Frau Bartelt-Lehrfeld aus dem BMVI verkündet, die Reform werde eine deutliche Reduzierung der Anzeigepflichten mit sich bringen. Wow denke ich mir. Da ist nämlich wirklich einiges im Argen. Und dann kommt eine echte Bombe: Der Tagesnachweis soll komplett entfallen!
Bingo. Hat dieses fragwürdige Dokument uns doch in der Vergangenheit sehr viel Verwaltungsaufwand aufgebürdet. Dieses unendliche, sinnentleerte sammeln von Unterschriften, das Festhalten von Uhrzeiten und Art der Fahrstunde, das Ausdrucken und Füllen von ganzen Aktenschränken, und der Überwachungsrüffel, wenn von 1.000 Unterschriften eine fehlt ... . Weg, einfach weg. Das nenne ich echte Entbürokratisierung. Kompliment! Klar werde ich mir als Unternehmer eigene Aufzeichnungen fertigen. Als Nachweis gegenüber meinem Kunden. Aber Form und Ausführung bestimme ich ab sofort selbst. Endlich. Und mein Fahrschulüberwacher kann seine Zeit ab sofort sinnvoller nutzen.
Eigentlich muss jetzt Applaus durch den Saal branden. Bei so viel Reformgeist. Statt dessen höre ich in Diskussionsbeiträgen, dass der Tagesnachweis auf keinen Fall abgeschafft werden dürfe. Er diene dem Schutz von Arbeitnehmern. Er sei für die Überwachung zwingend notwendig. Hääää? Mir ist schon klar, dass es Dinge gibt, die man öffentlich eher nicht zu Papier bringt, aber: Seit wann hat der Tagesnachweis denn Fahrlehrer abgehalten, mehr als 480 bzw. 495 Minuten zu schulen?
In den offiziellen Empfehlungen lesen Sie, dass der Arbeitskreis empfiehlt, den Tagesnachweis entfallen zu lassen. Tatsächlich war das eine denkbar knappe Entscheidung in der Abstimmung.
Verkehrte Welt, denke ich mir. Behördenvertreter bieten dem Berufsstand Entlastung an. Statt Hurra zu schreien, möchte der am liebsten ja nichts verändern. Kopfschütteln. Und eigentlich geht das die ganze Zeit so weiter. Da wird z. B. stundenlang über das Berichtsheft für Fahrlehrer im Praktikum lamentiert. Eine Wortmeldung jagt die andere. Argumente fallen, dass das korrekte Berichtsheft in die Notengebung Einzug finden sollte. Der Prüfungsausschuss solle das kontrollieren. Wissen die denn nicht, dass es fertige Berichtshefte heute im Internet per Download gibt?
Hoffnung
Es gibt vom Verkehrsgerichtstag aber auch Dinge zu berichten, die in die richtige Richtung laufen. Die Inhalte der Fahrlehrerausbildung sollen noch mehr pädagogische Ausrichtung erfahren. Das ist gut. Und gerne auch mehr Komponenten zur Sozialkompetenz. Eine Teilnehmerin spricht eindrucksvoll von den "4 M: Man muss Menschen mögen". Sehr gut!
Der Lehrgang zum Ausbildungsfahrlehrer soll mit einer Prüfung abschließen. Auch ein richtiges Signal. Vielleicht kann das dem Missbrauch der "billigen Arbeitskraft" vorbeugen. Eigentlich wünschte ich mir das auch für den BWL-Lehrgang.
Koopertaionsmöglichkeiten sollen verbessert werden. Unbedingt. Und noch viel wichtiger: Die Zahl der möglichen Zweigstellen soll angehoben werden. Und damit das keinesfalls zu liberal wirkt, beinhaltet die Empfehlung das Wörtchen "angemessen". Also gut.
Die Fahrschulüberwachung soll eine stärkere pädagogische Ausrichtung erfahren. Intern kursiert der Begriff PQFÜ. Das könnte in die richtige Richtung gehen.
Was bleibt?
Seitens der Politik ist der Reformwille da. Und das ist er eigentlich schon seit 2008. Auf Grund bedeutender Ereignisse, z. B. der Punktereform von Herrn Ramsauer, ist die Überarbeitung unseres berufständischen Regelwerks bis dato aber immer hinten runtergefallen. Jetzt gibt es einen neuen Versuch. In Kürze gibt es den Referntenentwurf. Dann hört man erneut Verbändevertreter, dann Bundestag, Bundesrat und Ende 2016 bzw. Anfang 2017 Verkündung und in Kraft treten.
Und um das an dieser Stelle deutlich zu sagen. Die Branche täte gut daran, dass Reformvorhaben kompromiss- und lösungsorientiert voranzutreiben. Kleinteilige Streitereien bedeuten Zeitverzug und die Gefahr des Versinkens in der Nichtbeachtung. Dieses Land hat aktuell größere Probleme zu lösen. Und 2017 ist Bundestagswahl. Wahljahr bedeutet Wahlkampf. Reformen gibt es da nicht mehr.
Und Engelchen und Teufelchen?
Die verteidigen in meinem Kopf weiter Ihre Positionen mit schlagkräftigen Argumenten. Aber sie wissen, dass sie dabei kompromissbereit sein müssen und das große Bild nicht aus den Augen verlieren dürfen. Ich selbst mache mir den Vorwurf, dass ich als FORTBILDUNG33.de besser, früher und häufiger über die Positionen der Reform hätte informieren müssen. Wir haben das in unserem Modul Recht getan. Und werden das auch in allen Recht-Modulen 2016 tun. Aber wir müssen darüber wahrscheinlich auch öfter im Newsletter und den Social Medias reden. Meinungsbildung muss vor Goslar passieren. Wir werden unseren Beitrag daran leisten - versprochen!