Das war schon beeindruckend. Und für mich das erste Mal. Alpin Biking 2015 war eine total ausgebuchte Veranstaltung. Mit Warteliste. Und schlechter Wetterprognose. 2 Grad und Schneeregen waren für den Rettenbachgletscher am Sonntag vorhergesagt. Montag und Dienstag sollten auch nicht besser werden. Mulmiges Bauchgefühl. Ich bin ehrlich: Ich hatte einen Riesen-Bammel vor der Veranstaltung. Und gemischte Gefühle bezüglich des Images einer Motorradfortbildung. Und im Hartig-Blog für diesen Monat möchte ich Ihnen schildern, warum ich tief beeindruckt am Mittwoch nach Hause gefahren bin.

 

DSC07375Es ist soweit: Am Samstag, den 13. Juni, nachmittags ab 15 Uhr, laufen die Teilnehmer im Lafairser Hof in Pfunds ein. Auf Grund der langen Anreise kommen viele Teilnehmer mit Anhänger. Teilweise sieht es auf dem Parkplatz des Lafairser Hofs aus, als würden wir ein Ladungssicherungsseminar machen. DSC07390Viele Teilnehmer hatten Ihre Anfahrt gemeinsam organisiert. Hilfsbereitschaft allerorts beim Abladen. Anreisen teilweise von über 1.000 km. Strahlender Sonnenschein. Zimmercheck. Erste Gespräche. Interessierte Blicke auf die Motorräder. Da gibt es einen wahnsinnigen Kollegen, der mehr als zwei Liter Hubraum dabei hat. Die Marktdominanz des weiß-blauen Motoradherstellers ist deutlich zu spüren. Für meinen Geschmack zu wenig Orange.

DSC07395Dann um 19 Uhr das erste, gemeinsame Abendessen. Eckhard Vollmer heißt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer herzlich willkommen. Auch ich als Mitveranstalter darf ein paar wenige Sätze sagen. Es wird spekuliert, wie das mit der Gruppeneinteilung läuft. Wer fährt mit wem? Wonach wird differenziert? Wohin geht es? Wann sind die Theorieblöcke? Nochmals der sorgenvolle Blick auf die Wetter-App. Der Abend nimmt seinen Lauf ...

FORTBILDUNG33.de ist dieses Jahr ein Mitveranstalter des Alpin Bikings. Erfinder ist Eckhard Vollmer mit dem DVPi Frankfurt. Dort läuft diese Form der Fahrlehrerfortbildung seit vielen Jahren. Sehr erfolgreich. Mit unendlicher Erfahrung und Streckenkenntnis. Akribischer Vorbereitung. Aber eben noch nie in dieser Teilnehmerstärke. Und auch selten mit so einer schlechten Wetterprognose.

DSC07400Tag 1. Sonntag Morgen, 8:45 Uhr. Alle Teilnehmer sitzen nach dem Frühstück pünktlich im Unterrichtsraum für den ersten Theorieblock. Viele haben bereits ihre Motorradbekleidung angezogen. Das Wetter sieht gut aus und und mit Blick auf die Regenvorhersage der kommenden Tage ist beschlossen, den Theorieteil kurz zu halten. Eckhard Vollmer gibt eine Einführung in die Fahrphysik und Arbeitsaufträge für die Sicherheitsübungen am Rettenbachgletscher. Die Gruppeneinteilung wird erledigt. Es gibt vier Tourguides. Die Teilnehmer orden sich selbst den Gruppen zu. Das klappt erstaunlich ausgewogen. Ich bin zum ersten Mal beeindruckt über die Disziplin.

Um 10 Uhr geht es los. Und ich lerne etwas, dass eigentlich klar ist. Teilnehmer in Motorradmontur und aufgesetztem Helm erkennst du nicht mehr wieder! Es entsteht ein vorsichtiges Chaos bis sich die Teilnehmer der Gruppen gefunden haben. Ok denke ich mir, das ist der erste Punkt für die Verbesserungsvorschlagsliste.

DSC07416Abfahrt. Piller Höhe, Pitztal, Oetztal. Eine Sonntagsprozession sperrt kurzzeitig die Straße. Wetter ist noch gut. Erste Wolken ziehen auf. Anfahrt Rettenbach Gletscher. Geile Kurven. Tolle Rücksicht innerhalb meiner Gruppe. 2760 m Höhe. Sicherheitsübungen. Abarbeiten des Arbeitsauftrages. Wir sind fertig, es regnet leicht. Mittagessen. Blick durchs Fenster: Es schüttet. Temperatur 3 Grad. Toll! Die Teilnehmer meiner Gruppe sind gut ausgerüstet. Wir fahren zurück ins Tal und ein Teil der Gruppe nimmt bei dem Wetter noch das Timmelsjoch in Angriff. Wenigstens bis zur Mautstation.

DSC07432Dann Rückfahrt ins Hotel. Der zweite Theorieblock steht an. Es gilt die Erkenntnisse der Sicherheitsübungen zusammenzutragen. Eckhard Vollmer diskutiert mit den Teilnehmern in ganz hervorragender Art und Weise, wie das mit dem Langsamfahren wirklich geht. Ich bin das zweite Mal beeindruckt: Es war ein langer und kalter Tag. Die Uhr zeigt zwischenzeitlich 22:07 Uhr und die Teilnehmer diskutieren im Unterrichtsraum noch immer lebhaft. Respekt! Wer hätte das gedacht? Wird den Motorradfortbildungen doch immer der Charme einer Urlaubsreise angedichtet. Was ich hier gerade erlebe ist das 100%-ige Gegenteil. Hier wird hart gearbeitet und mit grundsolidem Interesse Fahrphysik erörtert.

DSC07428Montag. Tag 2. 08:45 Uhr. Alle Mann (und Frau natürlich auch) sitzen wieder im Unterrichtsraum. Es regnet. Andrea Tacht hält einen Vortrag über Gruppenarbeiten im Theorieunterricht der Klasse A. Mutig, denke ich mir. Weiß ich doch aus eigener Erfahrung und den Modulen "Unterrichtskonzeption", dass Gruppenarbeiten polarisieren. Und natürlich vergibt Andrea an die Teilnehmer sofort eine Gruppenarbeit. DSC07435Einer seilt sich ab. Der Rest erarbeitet unter lebhafter Diskussion Themen und Flipcharts. Damit beweisen sich die Teilnehmer gerade selbst, dass Gruppenarbeiten funktionieren. Die Erkenntnisse sollen dann am Abend vorgestellt werden.

10:00 Uhr. Abfahrt in Gruppen in Richtung Silvretta. Der Regen ist nicht so schlimm wie gestern. Und trotdem denke ich mir: Wenn ich nicht müsste, würde ich bei der Suppe nicht aufs Motorrad steigen. Dieser Punkt wird später noch zu einer sehr interessanten Erkenntnis bei mir führen. Ankunft im Silvretta Haus. Kurzer Kaffee und dann ins Serpentinentraining auf der Nordseite. Der Asphalt hat einen top Zustand. Die Straße ist aber nass. Wir fahren die Nordseite mehrmals auf und ab. Es ist auf Grund des Wetters kein Verkehr. Und weil wir die gleichen Kurven öfter fahren, trauen wir uns trotz nasser Fahrbahn immer mehr zu. Mit ihren 180 PS zieht Steffi völlig schamlos die Serpentinen der Nordseite hoch. Ich denke an Eckhard Vollmer und den Theorieblock gestern Abend: Die Frage war, ob auch auf nasser Fahrbahn unter Umständen so stark gebremst werden kann, dass das Hinterrad aufsteigt. Und die Folgefrage war: Wenn dem so ist, was bedeutet das eigentlich für den Grip?

DSC07425Und ich bin Mittendrin in meinem dritten beeindruckenden Moment: Wenn ich mit meinen Fahrschülern über die Gefahren von Nässe rede, dann rede ich ja wie der Blinde von der Farbe! Man kann mir wirklich nicht unterstellen, ich hätte keine Motorrad-Fahrerfahrung. Aber eben überwiegend bei schönem Wetter! In der Regenfahrstunde ziehe ich mich doch lieber ins trockene Fahrschulauto zurück. Und jetzt fahre ich hier schon zum dritten Mal die Kehre Nummer 16 auf regennasser Fahrbahn mit Geschwindigkeiten, von denen ich nicht gedacht hätte, dass das so problemlos funktioniert.

DSC07418In den folgenden Gesprächen zeigt sich deutlich, dass ich mit dieser Erkenntnis nicht alleine bin. Und Eckhard Vollmer versteht es dann auch ganz ausgezeichnet, diese Erkenntnis nicht in höhere Geschwindigkeit zu münzen sondern in Sicherheitsgewinn. Sein lapidarer Satz: "Da fahren Motorradfahrer in der Kurve aus Angst vor Schräglage bei regennasser Fahrbahn lieber geradeaus in die Mauer." Und dann kommt der leise Seitenhieb: "Wir Fahrlehrer sind daran vielleicht auch nicht ganz unschuldig." Treffer. Versenkt, denke ich. Zumindest bei mir.

Interessanter Weise zeigt sich auf der Rückfahrt ins Hotel, wer trainiert hat und wer die Pause im Silvrettahaus auf Grund des Wetters etwas ausgedehnt hat. Fährt man in der Gruppe hinterher, sieht man ganz klar, wer souverän die Regenkurven fährt und wer "rumeiert". Die betroffenen Kollegen bestätigen das sogar selbst so. Und ich denke mir schon wieder: Diese Veranstaltung hat mit Sauna, Sonne und Spazierenfahren absolut nix zu tun!

Ralf  Leder   GN 058Tag 3. Dienstag. 08:45 Uhr im Unterrichtsraum. Ich bin dran. Mein Thema: "Nur 250 Millisekunden. Was beim ersten Eindruck alles schiefgehen kann." Als einziger halte ich einen Theorieteil, der nicht motorradspezifisch ist. Die Teilnehmer lassen das geduldig über sich ergehen. Fahrerisch steht heute das Highlight auf dem Programm: Das Stilfser Joch. Au weiha! Ich brauche mehrere Hände um abzuzählen, wie vielen Motorradfahrern ich in den letzten 25 Jahren geholfen habe, das Motorrad in einer der berüchtigten Kehren wieder aufzuheben. Eckhard Vollmer hat mich vorgewarnt: "Es werden nicht alle dort hochfahren!" Stimmt nicht. Alle treten an. Und das bei Bedingungen, die wettermäßig absolut grenzwertig sind. Und noch wichtiger: Alle kommen hoch, "umfallfrei"! 

Wir haben ja auch geübt. Fahrphysik. Langsamfahrt. Schwerpunkt ständig über der gedachten Linie der Reifenaufstandspunkte. Drehzahl. Hinterradbremse. Und dann das Regentraining von gestern.

Ralf Leder   IMG 0043Das Wetter oben am Stilfser Joch ist so schlecht, dass selbst Richard seinen legendären Wurststand geschlossen hat. Die Teilnehmer strahlen trotzdem alle irgendwie und wir essen die obligatorische Wurst im Vinschgauer mit Kraut bei der Konkurrenz.

Abends im Hotel dann die Abschlussrunde. Auf meine Frage in die Runde, was den Teilnehmern die Veranstaltung gebracht hat, höre ich Erstaunliches. Viele haben die von mir oben beschriebene Regenerkenntnis. Andere sind mit Funk gefahren und haben interessanterweise beschlossen, diesen in der Fahrschulausbildung dosierter einzusetzen. Es gibt Lob über die Streckenwahl und deren Steigerung von Tag zu Tag. Es gibt ein enorm positives Feedback zu den fahrphysikalischen Themen und Überlegungen. Und natürlich, es gibt auch Kritik. Und ich ergänze sukkzessive meine Verbesserungsvorschlagsliste. 

Spät Abends sitze ich mit Eckhard alleine beim Bier. Wir ziehen unser persönliches Fazit. Wir sind beide beeindruckt über die Disziplin der Teilnehmer. Wir sind dankbar für die vorgebrachten Verbesserungsvorschläge. Wir sind erleichtert, dass nichts ernsthaftes passiert ist. Die Gruppe hat in der Summe immerhin knapp 30.000 km zurückgelegt. Und wir sind platt. Körperlich. Spannungsabfall.

Ralf  Leder   GN 119Und natürlich diskutieren wir über die Zukunft des Alpin Bikings. Haben unsere Standpunkte. Und Vorstellungen. Aber an dieser Stelle möchte ich den Ball gerne an Sie, lieber Leser, weiterspielen. Wie muss Ihrer Meinung nach ein Alpin Biking 2016 aussehen? Was brauchen Sie? Was wollen Sie nicht? 

Schreiben Sie mir: info@fortbildung33.de

Ich werde Ihre Gedanken gerne an dieser Stelle veröffentlichen. Gemeinsam können wir überlegen, wie das 2016 aussehen kann.

Zum Schluß darf ich an diese Stelle ein großes DANKESCHÖN setzen. An alle. An Sie als Teilnehmer. An die Tourguides. An die vielen Helfer und Vorbereiter im Hintergrund. An die "GS-Armada". An die Dozenten. Besonders an den Motorradguru Eckhard Vollmer. Aber auch an das ganz hervorragende Personal im Lafairser Hof. Sie dürfen dort übrigens getrost Ihr Handy verlieren. Tina wird es auf sehr unterhaltsame Art und Weise meistbietend versteigern ;-)

Sie haben mir in den letzen Tagen sehr viele Bilder aus der Veranstaltung gemailt. Auch Videos waren dabei. Wir haben und sind noch in der Aufarbeitung. Einen Teil haben wir für Sie bereits hier bereitgestellt. Der Rest folgt. Versprochen!

Viel Spaß und viele unfallfreie Kilometer! Wir sehen uns auf Orange ;-)

Ihr

Nils Hartig